Die dritte Ausgabe des Swiss Healthcare Day ging am 19. Januar 2017 in Bern über die Bühne. Etwa 200 Führungskräfte aus dem Gesundheitsbereich, vor allem Ärzte und Apotheker, sowie Politiker und Leiter von Gesundheitsorganisationen besuchten das Symposium, das vom Bündnis Freiheitliches Gesundheitswesen (kurz: Bündnis) durchgeführt wurde. Die Tagung stand unter dem Motto «Der Unternehmer im Gesundheitswesen: Wettbewerb versus Solidarität – ein Widerspruch?» und thematisierte die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den Leistungserbringern und den Zahlern im Gesundheitssystem sowie die zentrale Stellung der Versicherten. Moderator der Tagung war Dominik Feusi, Bundeshauskorrespondent der Basler Zeitung in Bern.

Die Einführung in das Thema der Tagung hielt Prof. Dr. Robert Leu, Präsident des Bündnisses. Er beleuchtete wirtschaftlichen Herausforderungen des schweizerischen Gesundheitssystems im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit der Bevölkerung auf kantonaler Ebene und der Finanzierung medizinischer Leistungen gemäss Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) nach den WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit). Es stelle sich die Frage, ob sich angesichts der begrenzten Ressourcen eine Rationierung vermeiden lasse, indem praxisgestützte Hilfsmittel für die Messung der Gesundheitsoutcomes entwickelt und angewendet würden.

«Man muss den Kantonen mehr Kompetenzen geben»

In seinem Referat zeigte Staatsrat Pierre-Yves Maillard, SP, anhand von Zahlen die Kostenexplosion auf, die das heutige Gesundheitssystem in eine ernsthafte Krise führe und für den Mittelstand im Kanton Waadt und in der übrigen Schweiz untragbar werde. Es deute auch nichts auf eine Beruhigung der Kostensituation hin. Das Versicherungssystem sei deshalb dringend zu hinterfragen. Als Beispiel für seine Ausführungen zeigte er die – besonders in den Grenzkantonen erheblichen – Auswirkungen des Auslaufens des Moratoriums für den Zuzug von Ärzten aus der Europäischen Union. Im Kanton Waadt gebe es ungefähr 300 zusätzliche Spezialärzte, für die nicht immer ein Bedarf ausgewiesen sei, insbesondere Radiologen mit ihrem hohen Ausrüstungsstandard, was zusätzliche Kosten für das ambulante System zur Folge habe.

Der Sozialdemokrat bedauerte das Fehlen von Qualitätsindikatoren in der Schweiz und stellte weitere Baustellen vor, die ihn beschäftigen: Umgestaltung des Tarmed-Tarifs, Beantwortung des Postulats von Jacques-André Haury und anderen, das Massnahmenvorschläge für die Eindämmung der Kostenexplosion im ambulanten Spitalbereich verlangt, sowie die Verordnung über die Behandlungskoordination (Informationsaustausch und Zusammenarbeit) mit dem Ziel, den Kantonen mehr Kompetenzen zu geben.

«Je mehr finanziert wird, umso grösser ist die Solidarität, je weniger finanziert wird, umso kleiner ist die Solidarität»

Felix Schneuwly, Head of Public Affairs, Comparis, präsentierte die komplexe Finanzierung des Gesundheitssystems und die Unterschiede bei der interkantonalen Finanzierung (Subventionen) durch den Gesetzgeber. Er verteidigte in seinem Referat wiederholt die Notwendigkeit einer grösseren Transparenz, denn «je mehr finanziert wird, umso grösser ist die Solidarität, je weniger finanziert wird, umso kleiner ist die Solidarität». Felix Schneuwly erinnerte auch daran, dass die Leistungserbringer im Gesundheitswesen seit der Einführung des KVG im Jahr 1996 auch im ambulanten Bereich Qualitätsindikatoren liefern müssten. In diesem Zusammenhang ist seiner Meinung nach der Bund dafür besser geeignet, weil er über die nationalen Daten verfüge. Ausserdem erwähnte er, dass neben anderen Kriterien auch die Zufriedenheit des Patienten mit der medizinischen Leistung ein zuverlässiges Qualitätskriterium sei.

«Die Qualität ist abhängig von der Transparenz»

Die erste Podiumsdiskussion der Tagung mit den Nationalratsmitgliedern Regine Sauter und Lorenz Hess sowie den beiden Ständeräten und Mitgliedern der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit Roland Eberle und Hans Stöckli kam zum Schluss, dass dem Staat eine echte Regulierungsrolle zukommen müsse, denn die Bevölkerung habe Probleme, das System zu finanzieren. Die Unterschiede bei den kantonalen Subventionen seien bereits vor 1996 vorhanden gewesen, und es soll eine nationale Lösung mit kantonaler Verantwortlichkeit gefunden werden. Die Unterschiede im Konsum von Leistungen zwischen der lateinischen und der deutschen Schweiz seien eine Tatsache, und alle Versicherten sollten über ihren Konsum nachdenken. Für ein besseres Gesundheitssystem brauche es Wettbewerb, der jedoch kontrollierten Qualitätskriterien unterliege. Zur Angebotssteuerung solle der Staat über mehr Mittel verfügen, weil die Qualität von der Transparenz abhängig sei. Es sei an den Gesundheitsfachpersonen selbst, die Qualitätskriterien auszuwählen und festzulegen. Zu diesem Zweck seien jedoch Anreize für Verhaltensänderungen zu schaffen. Aus dem regen Austausch ging zudem hervor, dass das heutige Gesetz noch nicht genügend Grundlagen für die Sanktionierung von «schwarzen Schafen» im Gesundheitswesen enthalte.

«Die Rationalisierung der Leistungen ist unumgänglich»

In seinem Vortrag zeigte Dr. Stephan Schaller, Siemens Healthcare GmbH, anhand von Beispielen aus anderen Ländern, dass es für Gesundheitssysteme unumgänglich sei, die Leistungen zu rationalisieren, denn «das Ziel der Wirtschaft ist nicht Selbstlosigkeit, sondern Eigennutz». Der Wettbewerb sei wichtig, damit Aussenseiter zugunsten von zweckmässigeren Unternehmen von alleine verschwinden. Monopole hingegen führten zu einer unaufhaltsamen Erhöhung der Preise und damit der Gesundheitskosten.

Zuerst ging er auf das amerikanische Gesundheitssystem mit seiner ultraliberalen Ausrichtung ein, in dem ein Drittel der Bevölkerung ungenügend oder gar nicht versichert sei. Zum staatlich regulierten System in Grossbritannien habe zwar die gesamte Bevölkerung Zugang, aber die Wartezeiten seien lange und die Finanzierung eine schwere Last für das ganze Land. Schliesslich stellte Dr. Schaller das duale System in Deutschland mit einem öffentlichen und einem privaten Teil vor, in dem ein Hausarzt als Gatekeeper für niedrige Kosten sorgen soll. Deutschland denke auch über eine Einheitsversicherung nach. Die Rationalisierung führt nach Ansicht des Referenten zwangsläufig dazu, dass die Versicherten über die Mittel definiert werden, die sie für die Gesundheit aufbringen können, und damit zu einer Zweiklassenmedizin. Mit dem Aufkommen der personalisierten Medizin sei die wirtschaftliche Tragbarkeit deshalb fraglich. Auch wenn die Wirksamkeit dieser individualisierten Behandlungen nachgewiesen sei, bleibe die Frage der Ethik.

«Wir erleben derzeit eine wichtige Veränderung des Geschäftsmodells»

«Überraschungsgast» der Tagung war Marcel Napierala, CEO von Medbase, einem Unternehmen, das an die Migros verkauft wurde. Mit der «Uberisierung» und der bedeutenden Stellung, die multinationale Unternehmen wie Amazon einnehmen, «erleben wir derzeit eine wichtige Veränderung des Geschäftsmodells», die durch die digitale Substitution zahlreicher Tätigkeiten sämtliche Märkte erschüttere, auch den Gesundheitsmarkt. Der dynamische Unternehmer stellte Medbase vor. Diese medizinischen Zentren bieten in der Schweiz eine integrierte ambulante Versorgung an: von der Prävention über die medizinische Grundversorgung bis zur Rehabilitation. Anhand von Zahlen verdeutlichte er auch das Gewicht des orangen Riesen (Tochterunternehmen: Migros, SportPark, FitnessPark, AquaPark, GolfPark, SportXX, Klubschule Migros, Santémed, Medbase). Die Migros-Gruppe zählt rund 450 Millionen Kundenkontakte täglich, was erahnen lässt, dass an diesem neuen Akteur im Gesundheitsbereich kein Weg vorbeiführen dürfte.

« If you are afraid of failure, you do not deserve to be successful » Charles Barkley

Als Einführung in das Thema des Nachmittags verteidigte Andreas Faller, lic. iur., Geschäftsführer Bündnis, den steigenden behördlichen Druck auf das System mit mehr Regulierungen, es sei denn, die Akteure würden ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Dazu müssten sie von Partikularinteressen abrücken und den gemeinsamen Willen haben, das System aktiv zu prägen.

Er erinnerte anhand von Beispielen unter anderem an die Instabilität des heutigen Gesundheitssystems und den fehlenden Dialog anstelle des immer noch allzu häufig beschrittenen Rechtswegs. Ausserdem unterstrich er, wie wichtig es sei, dass die wirtschaftlichen Massnahmen durch Outcomes gesteuert würden und zu akzeptierten Vorschlägen führten, ohne auf staatlichen Interventionismus zu setzen, mit dem Ziel einer leistungsbasierten Abgeltung – Pay for Performance.

«Die Risiken durch Moral Hazard sind grösser als die Risiken durch die Alterung»

Dr. Markus Trutmann, Generalsekretär des Verbands der chirurgisch und invasiv tätigen Fachgesellschaften (fmCh), ging in seinem Vortrag auf das Thema Moral Hazard ein. Der Begriff versinnbildlicht, dass sich ein Versicherter möglicherweise mehr Risiken aussetzt, als wenn er die negativen Folgen eines Schadens vollständig selbst tragen müsste. Das Vorliegen einer Krankenversicherung verändere tatsächlich das Verhalten des Versicherten, des Patienten und der Fachperson, hauptsächlich des verschreibenden Arztes. Die Risiken durch Moral Hazard seien grösser als die Risiken durch die Alterung, wie der Referent anhand von internationalen Studien zum Thema darlegte. In der Schweiz solle versucht werden, dieses menschliche Fehlverhalten durch eine Neudefinition des Tarmed-Tarifs abzuschwächen, weil die Anreize falsch gesetzt seien. Vor diesem Hintergrund sei die nationale Einführung des elektronischen Patientendossiers eine Chance, die es zu ergreifen gelte. Ausserdem ist der Referent der Ansicht, dass ein Pauschaltarif die richtige Balance herstellen würde.

«Die Digitalisierung erfordert das Vertrauen des Versicherten»

In seinem Vortrag ging Otto Bitterli, Verwaltungsratspräsident Sanitas Krankenversicherung, auf die Bedeutung von Big Data für die personalisierte Medizin ein und unterstrich, dass die Digitalisierung das Vertrauen des Versicherten erfordere. Er wies zudem auf die neue Rolle der Krankenversicherer hin, die sich in den letzten Jahren verändert habe und sich mit dem Eintritt von neuen Akteuren und Gesundheitsdiensten weiter wandeln werde. Er betonte ausserdem, dass die gesamte Bevölkerung eine Mitverantwortung für die Prämiensteigerung trage. Vom Wettbewerb soll zu einer gesteuerten Zusammenarbeit übergegangen werden.

«Für ein besseres Gleichgewicht zwischen Bevölkerung, Spitälern und Reglementierung»

Den letzten Vortrag des Tages bestritt Regierungsrat Thomas Weber, SVP, Baselland. Er stellte die Vision und die Pläne im Gesundheitsbereich für die Bevölkerung der Gesamtregion Basel vor. Anhand von Referenzen zeigte er die Beziehungen zwischen den verschiedenen öffentlichen und privaten Gesundheitsakteuren sowie die eingeführte Strategie zur Finanzierung des Systems auf, die für ein besseres Gleichgewicht zwischen Bevölkerung, Spitälern und Reglementierung sorgen soll.

«Man muss die Bedeutung der Informationen hervorheben, die dem Patienten gegeben werden»

An der zweiten Podiumsdiskussion des Tages beteiligten sich Margrit Kessler, Präsidentin Schweizerische Stiftung SPO Patientenschutz, Otto Bitterli, Prof. Thierry Carrel, Direktor Klinik für Herz- und Gefässchirurgie Inselspital Bern, Dr. Werner Kübler, Direktor Universitätsspital Basel, Dr. Markus Trutmann sowie Regierungsrat Thomas Weber. In dieser Diskussionsrunde beherrschte die Notwendigkeit der Ausarbeitung von Evaluationskriterien die Diskussion. Mehrfach wurde auf die Komplexität der menschlichen Natur hingewiesen. Ebenfalls hervorgehoben wurde die Wichtigkeit der Informationen, die dem Patienten gegeben werden. Dieser muss informiert sein, damit er sich an der Genesung beteiligen oder einen Entscheid treffen kann, der sich nicht nur auf ihn selbst auswirkt, sondern auch auf seine Angehörigen und die Gesellschaft. Auch die Bedeutung des Datenschutzes wurde angesprochen sowie dessen Erfordernisse für das ambulante System, damit keine Diagnosen verpasst werden.

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Erwin Wendelspiess

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